Rutger Emm

 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

                        

 

 

 
 

 

Rutger Emm

 

Ein Käfig ging einen Vogel suchen (Franz Kafka). Früher begann der Tag mit einer Schusswunde (Wolf Wondratschek). Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen (Peter Bichsel). Nie wieder nehme ich dieses Kind auf ein Begräbnis mit (Artur Knoff / Günter Grass). Es ist ein nettes Gefühl, so früh am Morgen weit vor das Haus zu treten, wenn die Lerchen in der eiskalten Luft sich befinden und mit Singen befasst sind (Sarah Kirsch) ... Sätze aus der Kurzprosa-Region der Literaturlandschaft.

 

Wenn Buchstaben, Laute und Silben die Elementar-teilchen der Sprache sind, dann agieren Wörter als Atome oder Elemente, aus denen Sätze aufsteigen. Ein Satz enthält eine DNA. Er muss eine DNA enthalten, denn im Satz beginnt Sprache zu leben (aus: Heimat ist ein Wort, das in Sätzen lebt).

 

Hier einige Sätze, Wörter, Wortfolgen als Sprachproben aus meinen Büchern:

Ich bat den Einbrecher zu bleiben

Mit Libellen den Sommer besprechen
bei einer Tasse Luft

Menschen, die von Unkraut sprechen,
werden in Unkrautkreisen als Unmenschen besprochen

Das schönste am Orgasmus sind die Vokale

Gutdraufismus

Navigationsgerät
Augensaugen Fingerverführer

Sah blass aus mein Arzt als er quer übern Flur schoss

Paretissimo:
zehn Prozent Aufwand, neunzig Prozent Ergebnis

Wir sind Insassen einer Gegenwart. Irgendwann werden wir beschrieben als die, die wir waren. Bis dahin bleiben wir unsäglich

Ach Wondratschek, früher begann der Tag mit einer Schusswunde, heute endet er sprengstoffumgürtelt

Eine gute Nachrichtensprecherin erkennst du daran,
dass du sie am Vorabend des Weltuntergangs heiraten willst

Der Roman ist der Ballermann der Literaturlandschaft.
Viele zieht es dorthin, um sich
mit dünnflüssigen Sätzen zu besaufen

Der Literatur vorzuwerfen, sie sei schwer verdaulich,
wenn sie auf die Gegenwart verweist, ist ebenso sinnlos
wie die Speisekarte zu hassen, wenn das Essen nicht schmeckt

Heimat ist ein Wort, das in Sätzen lebt

Heimat ist nur ein Wort, erst in den Sätzen, die es
umgeben, lebt es auf

Heimat „tümelt“: Heimat ist mehr als die Summe
der Gartenzwerge in meinem Vorgarten

Heimat "schnulzt": Nicht jede Heimat passt in eine Lederhose

Heimat „dumpft“: Wer dazugehört kann von Glück sagen?

Wem zu viel Heimat in den Schoß fällt,
der kommt nie auf die Idee aufzustehen

Heimat will geübt sein

Heimat ist keine Olympiade

Vielleicht ist die erste Heimat die größte, die wir je haben können ... die uns zustünde wie keine andere ... Von Mutter und Vater nach besten Kräften zubereitet, entscheidet die früheste Heimat, je nachdem wie gut sie gelingt oder misslingt, über alle Heimaten, die wir später auswählen

Welchen Durchmesser hat Heimat?

Gibt es eine "Heimat-Haut", 
eine, die sagt "wir sind wir"
und die, die nicht wir sind, das sind "die Anderen"?

Unter vielen Inländern fühle ich mich derart fremd,
dass man allein deswegen auf die Idee kommen könnte,
es mit Zuzug von außen zu versuchen

Es gibt verlorene Heimaten, die nie aufhören zu bluten.
Ein Schmerz, der sogar vererbbar ist

Vielleicht sind Heimaten aus einem Holz, das seltener wird, weil wir es immer mehr entrinden, entwurzeln und
kurz und klein hauen …

Heimat als Vorwand, Anderen aufs Maul zu hauen?

In der Fremde erkennen wir Heimatlinge an der Mundart und fühlen uns jedem von ihnen seltsam zugetan. Sogar denen, die man daheim für Idioten halten würde

Halten Sie sich für einen Menschen, der Anderen Heimat geben kann? Wenn ja, wie machen Sie das?

Von Einsamkeit, Verzweiflung und anderen Dreistigkeiten
Erzählungen aus dem Viertel der Fünflinge

Der Vorwurf, Außenseiter zu sein, setzt voraus,
dass Innenseiter zu sein
ein Kompliment wäre

Wenn Blicke löten könnten, wäre Elektronik ein Mordsspaß

Kritikern, die Äpfel mögen und Birnen besprechen, verdanken Birnenleser wie ich manch schmackhaften Verriss

...



 

 

 

 

 


 

 

 

 
 

Fotografie: Rita John